Lesetipps von der Buchhandlung „blaue Blume“ 27.06.

Jáchym Topol – Ein empfindsamer Mensch
Mohrle, Sonja und ihre zwei Kinder reisen als tschechische Shakespeare-Truppe mit dem Wohnmobil durch Europa – und werden überall vertrieben, mal aus Hass auf die EU (England), mal weil man sie für Campingtouristen (Spanien), Zigeuner (Frankreich) oder Flüchtlinge (Ungarn) hält. Mit kleineren Gaunereien halten sie sich mühsam über Wasser. Schließlich kommen sie in der tschechischen Provinz unter, einem vernachlässigten Landstrich voll grotesker Typen und Situationen, der sich in den Jahren ihrer Abwesenheit stark verändert hat. Prostitution, Gewalt, Kriminalität blühen, und doch sind die Menschen dort keineswegs grundsätzlich bösartig. Der namenlose, aber „empfindsame Junge“ der Familie beobachtet den oft alkoholgetränkten Alltag für uns. – Die großartige Erzähllaune des mit politischen Anspielungen durchsetzten Romans steckt jede Leserin an: Ein „irrer“ Roman, ausgezeichnet mit dem Tschechischen Staatspreis für Literatur. (Aus dem Tschechischen von Eva Profousová)
Roman | Suhrkamp | 494 Seiten | 25,00 Euro

Nathan Englander
Dinner am Mittelpunkt der Erde
Roman | Luchterhand | 288 Seiten | 22,00 Euro
Ein ironischer, witziger und immer wieder überraschender Roman über den Nahost-Konflikt, eine Spionage-Parodie und Psychogramm aller Beteiligten: Nathan Englander springt in den Lebensgeschichten eines halben Dutzends Figuren zwischen 2002 und 2014 hin und her und macht damit die Gemengelage zwischen Israel und Palästina sehr unterhaltsam anschaulich. Da wäre etwa Z., ein Doppelagent, der nach seinem Seitenwechsel vom Mossad in ein einsames Wüstengefängnis gebracht wird, wo er jahrelang nur den Wärter zu sehen bekommt und einem im Koma liegenden General Gnadengesuche schickt. Die Mutter des Wärters wiederum arbeitete jahrelang für genau diesen General (in dem man leicht Ariel Scharon erkennen kann). Oder das israelisch-palästinenische Pärchen, das sich nur im Niemandsland der illegalen Tunnel treffen kann … Beim Lesen setzen sich nach und nach all die unterschiedlichen Ausschnitte zusammen, die auch mal in Berlin oder Paris spielen. Englander trifft genau die wunden Punkte. (Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence)

Ian McEwan
Maschinen wie ich
Roman | Diogenes | 404 Seiten | 25,00 Euro
Charlie Friend, Anfang 30, hat mit privaten Börsenspekulationen nur mäßigen Erfolg und nimmt das Geld aus einer Erbschaft, um „Adam“, einen männlichen Androiden aus einer Reihe von 25 Prototypen zu erwerben. Mit Hilfe von Miranda, seiner 10 Jahre jüngeren Mitbewohnerin und Freundin, installiert er den Roboter in seiner Wohnung: Adam ist serienmäßig mit dem Wortschatz Shakespeares ausgestattet und hat Zugriff auf sämtliche digitale Datenbanken. Spezielle Ausstattungswünsche wie Charaktereigenschaften und besondere Neigungen werden von den beiden Menschen nachkonfiguriert. Da sie diese Arbeit gemeinsam erledigen, betrachten sie Adam als Kind ihrer Liebe. Dann entwickelt Adam ein Bewusstsein, verliebt sich in Miranda und unternimmt zunehmend Aktionen, die nicht im Sinne seiner „Eltern“ sind und zu heftigen Meinungsverschiedenheiten und Konflikten führen. Wer setzt sich durch und mit welchen Konsequenzen? Hat der Mensch dem Computer noch irgendwas voraus? Können sie koexistieren? Das technisch avantgardistische Geschehen spielt in der Vergangenheit, im Jahr 1982 – historische Ereignisse werden verändert dargestellt und gewinnen gerade dadurch an Aktualität. Der Roman ist spannend, informativ und überraschend zu lesen. (Aus dem Englischen von Bernhard Robben)

Helen Weinzweig
Schwarzes Kleid mit Perlen
Roman | Wagenbach | 186 Seiten | 22,00 Euro
Shirley Kaszenbokowski, Mitte 40, lebt mit ihrer Familie in Toronto. Sie verlässt ihren Alltag, Mann und Kinder und folgt Coenraad, dem Spion einer nicht näher beschriebenen „Agency“, der sie mit Hilfe eines ausgeklügelten Codes regelmäßig in Hotels bestellt. Sie verbringen nur kurze Zeit miteinander, dann wartet sie erneut auf verschlüsselte Botschaften, meist in der National Geographic versteckt. Mit der letzten „Schnitzeljagd“ wird sie in das Haus ihrer ehemaligen Familie gelotst – Absicht? Sie findet den Platz der Ehefrau bereits neu besetzt und muss sich entscheiden: Überlässt sie ihre Perlenkette und den Platz ihrer Nachfolgerin? Shirley fühlt sich zum Schritt weiblicher Selbstermächtigung auch deshalb befähigt, da sie als scheinbar alleinstehende Frau eine Menge Erfahrungen gemacht und dazugelernt hat: Die Männer und Frauen, denen sie auf der Suche nach dem chiffrierten Treffpunkt begegnet, erzählen ihr Geschichten – sind es wirklich deren Lebensgeschichten oder vielmehr Erinnerungen an ihr eigenes früheres Leben? Es bleibt dem Leser überlassen, eine Entscheidung zu fällen – es gibt kein Korrektiv für die subjektive Art der Darstellung. Auch das macht den Reiz dieses Romans aus. (Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit)

Ernst Hofacker
Live fast, love hard and die young. Tragische Geschichten aus Rock und Pop
Sachbuch | Reclam | 199 Seiten | 18,00 Euro
Viele berühmte Idole der Rock- und Popgeschichte starben eines frühen, tragischen Todes: Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain, Amy Winehouse oder Buddy Holly. Mal sind es Drogen, mal Krankheiten, mal Mord, mal der übergroße Druck der Musikbranche, die das Leben weltbekannter Stars vorzeitig beendeten: Ernst Hofacker erzählt von 35 Größen (neben den erwähnten auch Freddie Mercury, Bon Scott, Brian Wilson, Jeff Buckley, Prince, Elvis Presley …) und ihren Schicksalen, die Fans und Musikliebhaber noch heute ergreifen. In prägnanten, kurzen Artikeln geht der Musikjournalist aber auch auf die musikalische Bedeutung und Rolle der Stars ein und beleuchtet, was über ihren Tod hinaus bleibt.

Erika Mann
Zehn jagen Mr. X
Jugendbuch (ab 12) | Rowohlt Rotfuchs | 270 Seiten | 15,00 Euro
Erika Mann schrieb diesen Kinderroman in den 1940er-Jahren im US-Exil – und das merkt man dem spannenden, durchaus politischen Krimi an: In der kalifornischen Kleinstadt El Peso leben während des Zweiten Weltkriegs Familien aus aller Welt, entweder, da sie in der Flugzeugfabrik des Ortes arbeiten oder weil sie aus ihrer Heimat fliehen mussten. So finden sich bald auch zehn Kinder zusammen, die als „Gang“ eine Reihe merkwürdiger Vorfälle aufklären möchten: Wer hat das Feuer auf dem Schiff gelegt, wer ist in die Fabrik eingebrochen? Bis sie Mister X identifizieren und stellen können, müssen sie noch viel Mut und Zusammenhalt beweisen – und es fließt gefährlich viel Blut … Ein lesenswertes Plädoyer für Toleranz, Menschlichkeit und Frieden, in eine glaubwürdige Krimihandlung verpackt. (Aus dem Englischen von Elga Abramowitz)

Quelle Text/Bild:
buchhandlung blaue blume
Richard-Wagner-Str. 46
67655 Kaiserslautern

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Kaiserslautern, 27.06.2019