Lesetipps von der Buchhandlung „blaue Blume“ 24.12.

Roman: Iris Wolff – Die Unschärfe der Welt
Iris Wolff erzählt die Geschichte einer Familie im Banat über vier Generationen hinweg. Sie beginnt bei Karline, die um 1940 auf einem im Hafen von Constanța liegenden Passagierschiff ein Kind bekommt. Dieses Kind wird später Pfarrer und kehrt mit seiner Frau Florentine ins Banat zurück, wo sie im Pfarrhaus öfter Besuch aus der DDR beherbergen, mit Folgen über die Umbrüche des Jahres 1989 hinaus. Verbunden ist diese Familiengeschichte mit „Wahlverwandten“, die sich allen Schicksalschlägen zum Trotz immer wieder aufeinanderzubewegen. Der auf der „Longlist“ zum deutschen Buchpreis stehende Roman zeugt einmal mehr vom großen Sprachgefühl der 1977 in Siebenbürgen geborenen Autorin.

Roman
Monika Helfer – Die Bagage
Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft.

Roman
Anne Weber – Annette, ein Heldinnenepos
Anne Weber erzählt in dem mit dem „Deutschen Buchpreis“ ausgezeichneten „Annette, ein Heldinnen-Epos“ das Leben der Anne Beaumanoir: Geboren 1923 in der Bretagne, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, schon als Jugendliche Mitglied der kommunistischen Résistance, Retterin zweier jüdischer Jugendlicher, nach dem Krieg Neurophysiologin in Marseille, 1959 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen ihres Engagements auf Seiten der algerischen Unabhängigkeitsbewegung… und noch heute an Schulen ein lebendiges Beispiel für die Wichtigkeit des Ungehorsams. Weber schildert mit großer Sprachkraft und in gebundener Sprache ein Leben, das viele elementare Fragen aufwirft: Was treibt jemanden in den Widerstand? Was opfert er dafür? Wie weit darf er gehen? Durch die Form ein ungewöhnliches, ein großes Buch, das zu Recht den „Deutschen Buchpreis“ erhält.

Roman
Denis Ohde – Streulicht
Die Ich-Erzählerin von „Streulicht“ kehrt an den Ort ihrer Kindheit zurück, als ihre Freunde von damals heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den trinkenden Vater und an die unglückliche Mutter, die sie, nach einem kurzen Aufbegehren, beim diesem zurückließ; an den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen; an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden. Sehr einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Sie spürt dem Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.

Roman
Ilja Leonard Pfeijffer – Grand Hotel Europa
Ein Schriftsteller lässt sich im berühmten, aber verfallenen Grand Hotel Europa nieder, um darüber nachzudenken, warum es mit Clio, der Liebe seines Lebens schief ging. Er erinnert ihre Geschichte als eine Liebe in Zeiten des Massentourismus, räsoniert über gemeinsame Reisen und die aufregende Suche nach dem letzten Gemälde von Caravaggio. Und von Tag zu Tag mehr ist er fasziniert von den Geheimnissen des Grand Hotel Europa und den denkwürdigen Charakteren, die es bewohnen.
Ilja Leonard Pfeijffer hat einen meisterhaften Roman über den alten Kontinent geschrieben, in dem so viel Geschichte steckt, dass für die Zukunft kein Platz mehr zu sein scheint. Und gleichzeitig hat er eine Liebeserklärung an dieses alte, todmüde und doch heißgeliebte Europa verfasst, die uns verzückt nach immer mehr verlangen lässt.

Roman
Jonathan Coe – Middle England
Benjamin Trotter zieht in eine romantische Wassermühle in die Grafschaft Shropshire, ins Herz des ländlichen England, um seinen Roman, an dem er schon 30 Jahre arbeitet, zu beenden. Seine Nichte Sophie fühlt sich im multikulturellen London zu Hause, lebt aber nach der Heirat mit ihrem Mann in der Provinz und spürt ein zunehmendes Unbehagen; ist auch er so fremdenfeindlich wie seine Mutter? Doug, Journalist und Labour-Anhänger, schämt sich für sein luxuriöses Leben im reichen Chelsea, das sich kaum jemand noch leisten kann. In den vermeintlich idyllischen Midlands mit festen Werten und Traditionen kommt eine bizarre Sehnsucht nach Englishness auf, und eine tiefe Kluft zieht in diesem abgehängten Landesteil durch alle menschlichen Beziehungen. Ab wann lief alles schief? Dieser unterhaltsame und fein gesponnene Gesellschaftsroman blickt tief in die Seele des englischen Wesens.

Quelle Text/Bild:
buchhandlung blaue blume
Richard-Wagner-Str. 46
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Kaiserslautern, 24.12.2020