Lesetipps von der Buchhandlung „blaue Blume“ 25.12.

Roman
Christoph Hein – Das Narrenschiff
In seinem großen Zeitroman lässt Christoph Hein Frauen und Männer aufeinandertreffen, denen bei der Gründung der DDR unterschiedlichste Rollen zuteilwerden, begleitet sie durch die dramatischen Entwicklungen einer im Werden befindlichen Gesellschaft, die das bessere Deutschland zu repräsentieren vermeint und doch von einem Scheitern zum nächsten eilt. Überzeugte Kommunisten, ehemalige Nazis, in Intrigen verstrickte Funktionäre, ihre Bürgerlichkeit in den Realsozialismus hinüberrettende Intellektuelle, Fabrikarbeiter und selbst ein hoher Stasi-Mann erkennen auf die eine oder andere Art ihre Zugehörigkeit zu einer unfreiwilligen Mannschaft an Bord eines Gemeinwesens, das sie zunehmend als Narrenschiff wahrnehmen und das Kurs nimmt auf immer bedrohlichere Klippen.

Roman
Ursula Krechel – Sehr geehrte Frau Ministerin
In ihrem hoch politischen und stilistisch herausragenden Roman schreibt Ursula Krechel eine Kulturgeschichte aller Frauen – von einer römischen Kaisermutter bis zu einer Studienrätin, die eben diese römische Kaisermutter in den Mittelpunkt ihres Lateinunterrichts stellt, von einer Verkäuferin in einem kleinen Kräuterimperium zu einer Ministerin in Berlin, die eigentlich gegen die alltägliche Gewalt ankämpft. Es ist die Geschichte des Widerstands gegen Gewalt. Es ist aber auch der Roman über die abgründigen Beziehungen zwischen Söhnen und ihren Müttern. Mit einer Sprachkraft, die in den Bann zieht. Im Oktober wurde Ursula Krechel mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet.

Roman
Tan Twan Eng – Haus der Türen
Malaysia 1921. Lesley Hamlyn lebt das äußerlich angenehme und gleichförmige Leben einer Frau der britischen Kolonialgesellschaft. Mit dem Eintreffen von William Somerset Maugham, einem alten Freund ihres Ehemanns Robert, kommt neue Lebendigkeit ins Haus. Je stärker sich Lesley und Maugham anfreunden, desto mehr Geheimnisse vertraut sie ihm an: ihre frühere Unterstützung politischer Rebellen in China, ihre Affäre mit einem chinesischen Mann, der Niedergang ihrer Ehe. Wie Somerset Maugham seine Homosexualität muss auch sie ihr wahres Ich verbergen und ihre unglückliche Ehe ertragen. Tan Twan Engs Roman ist ein feines Stück Literatur und war für den Booker-Preis 2023 nominiert.

Roman
Sylvain Proudhomme – Der Junge im Taxi
Simon glaubt, seine Familie zu kennen, bis er auf der Beerdigung seines Großvaters von dessen verleugnetem Sohn erfährt – wie so viele andere Kinder während der Besatzungszeit in Deutschland gezeugt und nach Abzug der Soldaten vom Vater zurückgelassen. Simon, selbst mit dem Ende seiner Beziehung konfrontiert, lässt der Gedanke an diesen deutschen Jungen nicht los. Was für ein Leben hat er gelebt, war er einsam, verlassen, frei? Ist er es noch? Die Suche treibt Simon von Südfrankreich an den Bodensee, wo sich vergessene Spuren mit den seinen kreuzen und ein neues Bild ergeben.

Roman
Julia Schoch – Wild nach einem wilden Traum
Eine Frau lernt fern von zu Hause einen Mann kennen, Katalane und Schriftsteller, und hat mit ihm eine Affäre. Diese Liebe bringt alles ins Wanken – nicht nur die Beziehung zu ihrem Ehemann, auch ihre Sicht auf die Dinge, ihre Arbeit. Was sie erlebt, lässt eine Entscheidung in ihr reifen, die mit Risiken verbunden ist: ganz bei sich zu sein und künftig als Schriftstellerin zu leben. Jahre später steht sie erneut an einem Kipppunkt ihres Lebens und begegnet dem Katalanen wieder: Ein Bogen schließt sich zwischen Vergangenheit und Jetzt.

Roman
Annett Gröschner – Schwebende Lasten
Hanna Krause war Blumenbinderin, bevor das Leben sie zur Kranführerin machte. Sie hat zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei Weltkriege, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer, gute und schlechte Zeiten erlebt, hat sechs Kinder geboren und zwei davon nicht begraben können, was ihr naheging. Hatte später, nachdem ihr Blumenladen längst Geschichte war, von einem Kran in der Halle eines Schwermaschinenbaubetriebes in Magdeburg einen guten Blick auf die Beziehungen der Menschen zehn Meter unter ihr und starb rechtzeitig, bevor sie die Welt nicht mehr verstand. Annett Gröschners Roman erzählt die Geschichte eines Jahrhunderts in einem einzigen Leben und gibt, mit Hanna, denen ein Gesicht, die zu oft unsichtbar bleiben.

Roman
Nelio Biedermann – Lázár
Als Lajos von Lázár, das blonde Kind mit den wasserblauen Augen, zur Welt kommt, bricht auch das 20. Jahrhundert an, das das alte Leben der Barone Lázár im südlichen Ungarn für immer verändern wird. Der Untergang des Habsburgerreichs berührt erst nur ihre Traditionen, aber alle spüren das Beben der Zeit, die schöne Mária ebenso wie der geisterhafte Onkel Imre. Als Lajos in den zwanziger Jahren sein Erbe antritt, scheint der alte Glanz noch einmal aufzublühen. Doch die Kinder Eva und Pista müssen erleben, wie totalitäre Zeiten ihre wuchtigen Schatten werfen – und lernen, gegen sie zu bestehen. Nelio Biedermann erzählt die überwältigende Saga einer Familie in den Strudeln des 20. Jahrhunderts leicht und fesselnd gleichzeitig.

Roman
Sebastian Haffner – Abschied
Raimund ist verliebt. Für ein paar Tage aus dem dumpfen Deutschland der frühen Dreißigerjahre nach Paris gereist, um Teddy zur Rückkehr nach Berlin zu bewegen, erliegt er erneut ihrem Esprit und ihrem Charme. Als sie seinen Wunsch ablehnt, versucht er, die französische Freiheit mit ihr zu genießen und Paris in vollen Zügen aufzusaugen. 1932 auf der Schwelle zur NS-Herrschaft verfasst und nie veröffentlicht, besteht Sebastian Haffners ‚Abschied‘ einmalig gewitzt und rasant auf Weltläufigkeit, Liebe und Überschwang. Auch heute ist das Buch noch ein – wenn auch vielleicht makaberes – Lesevergnügen.



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Quelle Text/Bild:
buchhandlung blaue blume
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Kaiserslautern, 25.12.2025