Lesetipps von der Buchhandlung „blaue Blume“ 23.08.

Maxim Biller – Sechs Koffer
Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2018: Eine jüdisch-russische Familie wandert im Laufe der Jahrzehnte immer weiter gen Westen, bis sie, zumindest teilweise, den kommunistischen Staaten entflohen und in Zürich, Hamburg, Berlin angekommen ist. Ein Rätsel wandert immer mit: Wer hat den Großvater des Ich-Erzählers verraten, der 1960 vom KGB wegen wirtschaftlicher Vergehen hingerichtet wurde? Einer seiner vier Söhne? Eine der Schwiegertöchter? An die Stelle von Andeutungen und Verdrängung soll nun die Gewissheit treten. Der Ich-Erzähler, hinter dem man problemlos Maxim Biller selbst vermuten darf, versucht diesem Geheimnis auf die Schliche zu kommen und nimmt dabei – erzählerisch überaus raffiniert – sechs unterschiedliche Perspektiven ein. Und obwohl viel geredet wird, gelingt es dem Autor, auch das Nichtgesagte interessant zu machen. Es entsteht ein Krimi, ein origineller Familienroman, der die Geschichte jüdischer Flüchtlinge erzählt. Roman | Kiepenheuer & Witsch | 201 Seiten | 19,00 Euro

Jesmyn Ward – Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt
Roman | Kunstmann | 304 Seiten | 22,00 Euro
Zur armen afroamerikanischen Familie, die in einem schäbigen Holzhaus mitten im Wald lebt, gehören die Großeltern Mam und Pop, Tochter Leonie und deren Kinder, der 13-jährige Jojo und seine kleine Schwester Kayla. Mam liegt sterbenskrank im Bett, Pop kümmert sich um den Haushalt und versucht, Jojo beim Erwachsenwerden zu helfen. Der sorgt sich seinerseits um Kayla, da Leonie unzuverlässig und meistens high ist. Als Michael, der weiße Vater der beiden, aus dem Gefängnis entlassen werden soll, packt Leonie die Kinder und eine Freundin in ein altes Auto, und ein mehrtägiger Roadtrip beginnt. Der Roman wird abwechselnd von drei Personen in der Ich-Form erzählt: von Jojo, Leonie und Richie, wobei Gegenwart und Vergangenheit miteinander verwoben werden. So entlockt Jojo seinem Großvater die Geschichte des Jungen Richie, ebenfalls im Gefängnis, den Pop unter seine Fittiche genommen hatte, ohne ihn vor den weißen Aufsehern bewahren zu können. Richie sitzt als Geist mit im Auto und beurteilt das Geschehen aus einer anderen Welt. Auch Leonie besitzt eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit: Ihr erscheint Given, ihr älterer, von einem Weißen erschossener Bruder, der sie tröstet und ermahnt. Die Sensibelste ist Kaya, die eine vorbewusste Verbindung zu ihren Vorfahren hat. Sie spricht mit ihnen und erlöst sie. Der Vielfalt der Erzählstimmen entspricht die der Themen (Armut, Gewalt, Drogen, Rassismus) und der sprachlichen Mittel (schnelle Dialoge, archaische Bilder, lyrische Passagen). – Die Autorin erhielt für ihre beeindruckenden Romane gleich mehrfach den „National Book Award“. (Aus dem Englischen von Ulrike Becker)

Steven Amsterdam – Einfach gehen
Roman | Unionsverlag | 344 Seiten | 22,00 Euro
Evan ist examinierter Krankenpfleger. Er arbeitet als Sterbeassistent bei einem Projekt zum assistierter Suizid, bei dem zu Schulungszwecken alle Suizide aufgezeichnet werden. Er verliert seine Stelle, weil er bei einem Suizid ordnungswidrig zu viel „Unterstützung“ geleistet hat. Vorübergehend arbeitet er für eine Untergrund-Sterbehilfe-Organisation, die auf jegliche medizinische, psychologische und juristische Vorbereitung der Sterbewilligen verzichtet. Als die Parkinson-Krankheit seiner Mutter ihr Endstadium erreicht hat, kehrt er an das Krankenhaus zurück und muss sich entscheiden, ob er ihr das Gift verabreicht. – Einfach gehen geht gar nicht so einfach. Das erfahren die Menschen, die einfach aus dem Leben gehen wollen, vorher aber noch jede Menge Untersuchungen, Gespräche und explizite Willensbekundungen hinter sich bringen müssen. Dass es dabei zu komischen Zwischenfällen und grotesken Pointen kommen kann, tut der Ernsthaftigkeit, mit der das Problem des selbstbestimmten Todes behandelt wird, keinen Abbruch. Und wenn der Ton bisweilen etwas schnoddrig oder sarkastisch ist – die Würde der Patienten bleibt immer gewahrt. Die Verbindung von ernstem Thema mit Leichtigkeit in der Darstellung macht das Buch äußerst lesenswert. (Aus dem Englischen von Marianne Bohn)

Marc-Uwe Kling – Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat
Kinderhörbuch (ab 6) | Silberfisch | 1 CD | 7,95 Euro
Na klar, Max weiß, dass es eigentlich nicht sein kann, doch er und seine Schwester Tiffany müssen es dann doch glauben, als sie es sehen: Ihre Oma hat per Doppel-Mausklick das globale Internet gelöscht. Nichts geht mehr. Keine Musik per Stream, keine Online-Kurznachrichten, keine Arbeit für die Eltern am PC mehr. Ziemlich ärgerlich, bis sie Familie feststellt, dass es ja noch andere Dinge gibt, die Spaß machen. – Marc-Uwe Kling liest sein Kinderbuch selbst ein. Und dass er mit seiner schnoddrigen Berliner Schnauze (hintergründige!) Gags wunderbar platzieren kann, ist ja bekannt. Zudem bietet das Hörbuch musikalische Einlagen des Autors! Und so funktionieren auch die beiden anderen Geschichten vom Ostermann und der Prinzessin Poppelkopf, die tatsächlich so aussieht, wie sie heißt, die noch auf der CD zu finden sind. Da sind die Lacher garantiert!

Siri Pettersen: Die Rabenringe – Odinskind
Jugendbuch (ab 14) | Arctis | 651 Seiten | 20,00 Euro
Die junge Hirka wächst in Ymsland auf. Im Gegensatz zu den anderen um sie herum, hat sie keinen Schwanz – denn den hat ihr ein Wolf herausgerissen, als sie noch ganz klein war, wie ihr Vater sagt. Doch nun ist sie fünfzehn und erfährt, dass er sie angelogen hat, um sie zu schützen: Sie ist ein Wesen aus einer anderen Welt, eines, das nicht über die magische Fähigkeit des Umarmens verfügt. Dafür kann sie für die Menschen in ihrer Umgebung bedrohlich werden. Und sie muss fliehen, denn nun ist sie eine Gefahr für das ganze Land: Das Machtsystem ist auf einer Lüge aufgebaut, die das Odinskind Hirka entlarven könnte. In dieser Lebensgefahr hilft ihr unvermutet ihr Freund Rime, dessen Familie jedoch zum obersten Rat des Landes gehört … Der erste Band einer Trilogie, die in Norwegen zum Bestseller und Kult wurde. Siri Pettersens komplexe, an die nordische Mythologie angelehnte Welt bietet spannende, überraschende Abenteuer mit fantastischen, überzeugend dargestellten Figuren. Eine tolle Entdeckung, die Lust macht auf die Folgebände! (Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt und Dagmar Lendt)

Quelle Text/Bild:
buchhandlung blaue blume
Richard-Wagner-Str. 46
67655 Kaiserslautern

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Kaiserslautern, 23.08.2018